„Was
die Herren vom Munitionslager uns so liebenswürdig mitgeteilt hatten, das
ge-schah nun, das Regiment wurde herausgezogen, voran die erste Abteilung.
Ein
dumpfes Rollen von Westen her begleitete die drei Batterien am Morgen des 18.
Juli auf ihrem Marsch. Als sie gegen
Mittag in ihre Unterkunftsräume bei Braisne rückten, da lag es wie eine Ahnung
auf den Gemütern, daß sie sich hier nicht zur Ruhe strecken werden. Und noch
hatten Fahrer und Kanoniere den Straßenstaub nicht von den Stiefeln
geschüttelt, da fiel schon der Befehl an die Batterien herein; „Die Abteilung
rückt sofort vor nach Nanteuil notre Dame!“ Der längst erwartete Vorstoß der
Franzosen aus den Wäldern von Villers Cotterêts war erfolgt. Vorwärts denn und
wieder zurück den Weg!
Glühende
Julihitze, die Straßen dick mit Staub bedeckt. Immer deutlicher, je weiter sie
kamen, zeichnete sich ihnen, was auf sie wartete. Bagagen, Protzen, Feldküchen,
ohne Weisung und Befehl, fluteten ihnen entgegen, dazwischen Ausreißer und
Drückeberger mit verstörten Gesichtern, die im Vorübereilen abgebrochene Sätze
hervorstießen von Tankgeschwadern, die alles vor sich her zerstampften. Verwirrung
auch in den Stäben; der Artilleriekommandeur befahl: hist! die Division: hott!
So gab es für Abteilung und Batterien nur ein Kommando: selber sehen und
handeln.
Die
Batterien biwakierten am Straßenrain; bei Sonnenaufgang trafen sie bei Latilly
an der befohlenen Stelle ein. Dasselbe Bild wie am Abend zuvor: überall
zurückflutende Infanterietruppen, die in kopfloser Hast wichen, ohne einen
feindlichen Angriff nur mehr zu erwarten, die Lage völlig ungeklärt. So setzte
der Abteilungsführer, Hauptmann Eisenlohr, nur eine einzige, die erste Batterie
ein; mit ihrem Führer ging er selber zur Höhe vor zum Erkunden.
Weit
sah man von dort in das Vorgelände hinein. Reifendes, wogendes Korn, kleine
Waldstücke dazwischen gestreut, Hügelwellen und flache Mulden. Im hohen
Getreide vier zusammengeschossene rauchende Tanks, ein paar hundert Meter
hinter uns die Trümmer einer deutschen Haubitz-Batterie. Sie war gesprengt
worden auf das Gerücht: die Franzosen kommen! Wo kamen sie denn? Weit und breit
war kein Gegner zu sehen, nur Trüpplein eigener Infanterie, die rückwärts
liefen. Da kam wieder so eine Schar an den Artillerie-Beobachtern
vorübergeschlichen. „Wohin, Herr Kamerad?“ Mit verlege-ner Mine meldete sich der
angeredete Führer bei Hauptmann Eisenlohr; die Munition sei ihnen ausgegangen.
Ei, da war abzuhelfen, da lagen eben fünftausend Schuß trefflicher
Infanterie-Munition. Aber da wuchs die Verlegenheit des Leutnants. Seine
Mannschaf-ten wollten ja keine Munition, nur fort wollten sie, weit weg von den
Tanks. Wir danken für Ihre Hilfe, Herr Leutnant, und putzen Sie auch ihre Hosen
gut aus, von innen nämlich!
Aber
was war denn das? Leutnant Schlecht will sich eben auf der neugeflickten
Leitung mit seinen Geschützen in Verbindung setzen, da ist keine Batterie mehr
da! Sie hat abrücken müssen. Auf höheren Befehl! Es hieß: Die Franzosen kommen!
Der feuer-leitende Offizier hatte sich auf die Hinterbeine gestellt: „Da vorne
sitzt ja noch mein Batterie- und mein Abteilungsführer!“ Umsonst: „Wenn die
noch da vorne sitzen,“ ward ihm zur Antwort, „dann sind sie längst gefangen.“
Wirrwarr,
Kopflosigkeit oben und unten.
„Die
Franzosen kommen!“ – und auf Kilometerweiten kein Franzose. Die Drähte waren
zerschlagen, die Befehlsstellen nährten ihre Kenntnisse von Ausreißern von
vorn, und die wußten alle nur eines: „Die Franzosen kommen!“
Einen
Tag später. Noch schläft die Welt. Im Morgenzwielicht sehen wir den Führer der
dritten Batterie, Leutnant Fischer, in seiner Feuerstellung zwischen La Croix
und Latilly am Scherenfernrohr stehen. Siehe da, plötzlich wird es lebendig
drüben am Waldsaum, ein halb Dutzend Tanks bricht aus dem Gehölz gegen unsre im
Grunde liegende Schüt-zenlinie vor. „Batterie vor, offene Feuerstellung!“ Der
Batterieführer selbst sitzt als Richtkanonier am linken Flügelgeschütz, das
schon oben auf dem Rücken steht, die Kanonen lösen Schuß auf Schuß. Zwei Tanks
sind getroffen, weißen Dampf ausstoßend bleiben sie liegen, der Rest des
Panzergeschwaders verschwindet. Verlassen von ihren Schrittmachern stehen die
französischen Infanteristen da, in ihre dichten Gruppen hinein fahren die
Granaten.
Doch
die eigene Infanterie denkt es der dritten Batterie schlecht. Sie räumt den
Grund von Latilly und geht zurück. Da bekommt die Batterie Befehl zum
Stellungswechsel. Es ist höchste Zeit; denn der Franzose hat aufgespürt, wer
ihm den Angriff zerschlagen hat, und deckt die Batterie mit schwerem Feuer zu,
an der Stellung vorbei aber hasten bereits die Trüpplein der weichenden
Infanterie. Eben sind die Protzen angetrabt, drei Bespan-nungen sind abgerückt,
die letzte will abfahren. Aber der Batterieführer läßt sie nicht fort: „Die
Munition muß mit zurück!“ und fiebernd arbeiten sechzehn Arme zusammen. Da, ein
Knall, Schmerzensrufe, ein Knäuel von Menschen und Pferden. Der Stangenrei-ter
sitzt noch, von Schreck gelähmt, ohne Unterschenkel und Unterarme im Sattel.
Unser Blick sucht die Stelle des Einschlags. Da erhebt sich Leutnant Fischer,
als wollte er etwas befehlen, aber er sinkt lautlos wieder neben fünf
schwerverwundeten Kame-raden. Die andern springen herzu und helfen, wo noch zu
helfen ist; Leutnant Fischer ist hoffnungslos schwer getroffen.
Über
die Höhe aber klimmen die ersten Blaujacken, und fragend schauen sich die
Ka-meraden an: sollen sie ihren sterbenden Führer verlassen? Da kommt der
Feldwagen und führt den Sterbenden und die Toten davon, die Kugeln schwirren um
ihre Köpfe.“
aus: „Das 4. Württ. Feldartillerie-Reg.
Nr. 65 im Weltkrieg“, Stuttgart 1925
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