Mittwoch, 1. August 2018

1. August 1918



„So kam der 1. August und mit ihm der erwartete feindliche Angriff. Gegen 4.30 Uhr vormittags nahm das nächtliche Störungsfeuer zu und steigerte sich gegen 6 Uhr vormit-tags zum Tosen des Trommelfeuers. Erst schien sich rechts des Regimentsabschnitts ein feindlicher Angriff zu entwickeln, um 6.15 Uhr vormittags griff der Gegner auch vor der Front des Regiments an. Hinter einer dichten Walze aufschlagender Granaten und plat-zender Schrapnells folgte die französische Infanterie in Massen. Gedeckt durch Nebel und Rauch und das wellige, kornbestandene Gelände kam sie dicht an die Vorposten heran, deren abgeschossene, alarmierende Signalkugeln rückwärts nicht gesehen werden konnten.
Die Fernsprechleitungen waren überall längst zerschossen, doch arbeiteten noch die Erdtelegraphenstationen bei den Bataillonsgefechtsständen. Unsere Artillerie, in Un-kenntnis über das Fortschreiten des feindlichen Angriffs, konnte nur wenig wirken; diejenigen Teile der Vorfeldposten, die sich mit dem Gegner nicht verbissen hatten, konnten in den hohen Kornfeldern auf die Hauptwiderstandslinie ausweichen. Vizefeld-webel Dengler der 9. Kompagnie jedoch hielt mit seinen Leuten zu lange auf seinem Posten aus und wurde mit 5 Mann gefangen genommen. Auch der Vorfeldkommandeur der 2. Kompagnie, Leutnant d. R. Peters, glaubte den Angriff schon im Vorfelde abweh-ren zu können. In heftigem Ringen wurde er seiner rechten M.-G.-Gruppe beraubt, so daß er mit den ihm verbleibenden beiden Gruppen den Rückzug auf die Hauptwider-standslinie antreten mußte. Erbitterte Einzelkämpfe mit Gewehr, Handgranaten und Messer spielten sich ab. Schritt für Schritt zurückweichend, brachten die Grenadiere dem Feind schwere Verluste bei. Durch das langsame Zurückgehen unserer Vorfeld-besatzung, unbekümmert um das, was sich links und rechts abspielte, gelang es dem Gegner, sie in den unübersichtlichen Kornfeldern vom Rücken zu fassen. Tapfer schlu-gen sich die Leute nach allen Seiten, um sich nach rückwärts Bahn zu brechen. Einige fielen, der Rest, größtenteils verwundet, kam in dichter Mischung mit den schneidig vorgehenden Franzosen vor das Feuer der Hauptwiderstandslinie. Herausgeschossen durch ihre Kameraden, vermochten sich die Kämpfer schließlich loszulösen, der zuletzt zurückgehende Leutnant d. R. Peters mit seinen beiden Meldern blieb leider in Feindes-hand. Ein Verwundeter, der sich in einer Korngarbe versteckt hatte und am Abend erst zurückkam, berichtete später von den prachtvollen Taten zu Beginn der Vorfeldkämpfe.
Als nun die Besatzung der Hauptwiderstandslinie freies Schußfeld auf den in Wurfweite in dichten Haufen herankommenden Feind hatte – es war inzwischen 6.30 Uhr vormit-tags und die feindliche Feuerwalze war schon im Hintergelände angekommen –, da schlug den Franzosen ein niederschmetterndes Feuer entgegen, das sie zwang, von den Kornfeldern aus ein Feuergefecht zu führen. Doch sie konnten nirgends die Übermacht erringen. Die Besatzung der Hauptwiderstandslinie schoß, um besser zu sehen, stehend freihändig von den höchsten Erdaufwürfen ihrer Schützenlöcher mit Gewehren, Ge-wehrgranaten und über die Schulter gelegten leichten Maschinengewehren. Wo der Geg-ner es wagte, aus den Kornfeldern herauszutreten, rannte er in den sicheren Tod. Zahl-reiche Verwundete sah man zurücklaufen und sich bei einer an dem wohlbekannten Waldstück, Stabswäldchen genannt, aufgestellten Sanitätsflagge sammeln. Dort und im sogenannten „Eisenwäldchen“ setzte sich der Gegner fest und organisierte sich anschei-nend zu neuem Angriff. Das Feuer unserer Artillerie war teils aus Mangel an Munition, teils wegen der fehlenden Verbindung nicht recht zur Entwicklung gekommen. Dagegen war den leichten Minenwerfern ein von Leutnant d. R. Sinn vorzüglich geleitetes Feuer gegen die beiden Wäldchen zu danken.
Die geschwächte Hauptwiderstandslinie wurde nun zunächst durch Teile der in zweiter Linie eingesetzten Kompagnien verstärkt und nachdem sich schon gegen 7 Uhr vormit-tags die 9. und 10. Kompagnie unter ihren Führern, den Leutnants d. R. Seeger und Klumpp, die Franzosen in energischem Gegenstoß bis über die Straße Cramaille – Trugny zurückgeworfen hatten, gelang es gegen 9 Uhr vormittags auch der 2. Kompag-nie unter Leutnant d. R. Heim und Teilen der 10. Kompagnie unter Vizefeldwebel Betz und dem gerade anwesenden Führer der 12. Kompagnie, Leutnant d. R. Kuhnle, im Handgranatenkampf – sehr gut unterstützt durch Gewehrgranatenschützen – das Eisen-wäldchen wieder in Besitz zu nehmen. 30 Gefangene und 1 Maschinengewehr blieben dabei in unserer Hand. Die gefangenen Franzosen gehörten der 68. Res.-Division (Regt. 206, 234 und 344) an, die erst vor wenigen Tagen von Verdun abtransportiert wurden, dort abgelöst durch Amerikaner und aufgefüllt durch Leute vom Jahrgang 98.
Unter dem Druck der dem Feind hart zusetzenden Patrouillen wich dieser, stark erschüt-tert, bis an die Hänge des Ourcq-Grundes, seiner Ausgangsstellung, zurück. Hierbei wurde Leutnant Menton (Otto) am Stabswäldchen auf nächste Entfernung angeschossen und schwer verwundet. Eine Besetzung des Vorfeldes mit starken Kampfgruppen konnte der eingetretenen Verluste wegen nicht mehr durchgeführt werden. Doch auch der Feind hatte sichtlich die schwersten Verluste, weit mehr als der Verteidiger, erlitten. Allein vor dem Abschnitt der 9. Kompagnie wurden am Abend 250 tote oder schwer verwundete Franzosen gezählt.
Unter den schwierigsten Umständen wurden in den nächsten Stunden die gänzlich er-schöpften Munitionsbestände aufgefrischt. Die wichtige Maschinengewehrmunition wurde vom Regimentsgefechtsstand in Foufry durch die noch immer unter starkem Feuer liegende Artilleriezone vorgeleitet. Wurfminen, Handgranaten, Infanterie- und Leuchtmunition wurden unter großen Anstrengungen im feindlichen Feuer nach vorne geschafft. Der Fernsprechdraht vom I. Bataillon zum Regiment, der an 17 Stellen abge-schossen war, wurde geflickt; die Meldehündin Bella, die beim I. Bataillon glänzende Dienste geleistet hatte, verkehrte wieder und auch einige Brieftauben waren noch flug-bereit. Die Blinkverbindungen waren leider durch Artillerietreffer fast sämtlich außer Gefecht gesetzt. Dank der Aufopferung der Ärzte und des Sanitätspersonals ging der Abtransport der Verwundeten rasch und reibungslos von statten.“

aus: „Das Grenadier-Regiment „Königin Olga“ (1. Württ.) Nr. 119 im Weltkrieg 1914-1918“, Stuttgart 1927

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