„In
der sternenhellen Nacht vom 7./8. August waren eben die Kompagnien des II.
Bataillons an Stelle des III. Bataillons in der vordersten Linie eingesetzt
worden, als zu beiden Seiten der Somme tausende von feindlichen Geschützen ein
furchtbares Konzert anstimmten und zahllose englische und kanadische
Bataillone, von vielen Tank- und Reitergeschwadern umgeben, sich in den Mulden
und Waldstücken hinter ihrer Front-linie zum Angriff bereitstellten. Standhaft
hielten die 120er in dem Höllenfeuer aus. In der Kampf- und Tiefenzone des
Regimentsabschnitts reihte sich ein Geschoßeinschlag neben den andern. Im Nu
waren die Küchen- und Gressaire-Mulde mit dichten Pulverdampfwolken erfüllt. In
der letzteren saß unfreiwillig in seinem Gefechtsstand eingeschlossen und jeder
Verbindung nach vorne und rückwärts beraubt, der Abschnitts-kommandeur. Er hielt
lange einen neuen, rein örtlichen Vorstoß der Engländer, mit der
Wiedererlangung unserer vorderen Gräben als Ziel, für bevorstehend. Erst als
gegen 9 Uhr vormittags Infanteriegeschosse und kleinkalibrige Granaten, aus
Tankgeschützen herrührend, die schweren Geschosse feindlicher
Steilfeuergeschütze an seinen Unter-stand begleiteten, mußte es für ihn außer
Zweifel sein, daß ein großzügig angelegter feindlicher Durchbruchsversuch im
gang war. Bald darauf von vorne kommende ver-wundete und versprengte Leute bestätigten
diese Ansicht unwiderleglich. Entlang des nördlichen Sommeufers vorgehende
feindliche Bataillone hatten sich in diesem Augen-blick schon über die Gräben
der linken Nachbardivision hinweg in die linke Flanke der 27. Division Bahn
gebrochen. Auf der großen Straße nach Bray, rechts vom Regiment, hatten Tanks
die Linien des Grenad.-Regiments 123 und des Regiments 124 überfahren und
operierten in dem Rücken des Regiments 120. So wacker sich auch am Anfang die Kompagnien
des II. Bataillons den frontal angreifenden Gegner vom Halse gehalten hatten,
jetzt erheischte die Lage dringend ein Zurückverlegen ihrer Verteidigungslinie,
wenn sie nicht sämtlich in die Hände des Feindes fallen sollten. Die
Umklammerung war schon in ein sehr ernstes Stadium getreten, als sich die
ersten Leute vorsichtig auf den Westrand der Küchen-Mulde zurückzogen. Für
viele war es schon zu spät, sie gerie-ten in Gefangenschaft. In dem allgemeinen
Wirrwarr gelang es später manchem von diesen, sich den Händen der Sieger wieder
zu entwinden und sich nach Osten durchzu-schlagen. Auf den Höhen westlich
Bray-sur Somme sammelten unterdessen tatkräftige Offiziere und Unteroffiziere
die versprengten Mannschaften.. Das I. Bataillon wurde vom Ruhelager Suzanne
herangezogen. Bis zum Anbruch der Abenddämmerung war keine rechte Klarheit
darüber zu erlangen, wie weit der Gegner im Regimentsabschnitt tatsächlich
vorgedrungen war. Die widersprechendsten Nachrichten liefen beim Regi-mentsstab
ein. So meldeten einzelne Batterien, daß ihre Geschütze in der Küchen-Mulde
noch feuerten, während andere Berichte besagten, daß englische Infanterie
bereits am Rande der weiter östlich gelegenen Gressaire-Mulde sich eingenistet
habe. Um endgül-tige Gewißheit über die Lage zu haben, setzte der
Regimentskommandeur die herbeige-eilten Kompagnien des I. Bataillons nach vorne
in Marsch, mit dem Auftrag, die Füh-lung mit dem Gegner wieder aufzunehmen. Sie
gelangten, ohne Widerstand zu finden, bis auf den Sachsenberg vor und setzten
sich dort zur Verteidigung fest. Vor ihnen irrten englische
Infanterieabteilungen planlos zwischen unseren alten Kampfstellungen herum.
Nach anfänglich größerem Geländegewinn hatte sich der Engländer wieder
respektvoll nach rückwärts verzogen. Eine von Südwesten bis zur Gressaire-Mulde
vorgeprellte schwache feindliche Infanterieabteilung, welche vorübergehend
wilden Schrecken in die Reihen der 120er getragen hatte, befand sich zu dieser
Zeit längst schon auf dem Marsch in unsere Etappe. Unerschrockene Leute der Nachrichtenkompagnie,
denen die Abteilung unvermutet in der Schlucht in die Arme gelaufen war, hatten
sie nach kurzem Kampf überwältigt, entwaffnet und gefangen nach hinten
abgeführt.
Die
beiden anderen Infanterie-Regimenter der Division waren der feindlichen
Umklam-merung bedeutend weniger ausgesetzt gewesen. Sie hatten dem
Vorwärtsstürmen der Engländer noch weiter westlich als das Regiment 120 Einhalt
geboten. Die taktische Lage im Abschnitt der 27. Division und die Haltung ihrer
Kampftruppen gab am Abend des 8. August keinerlei Anlaß, die Hoffnung auf
erfolgreichen Widerstand der Division bei etwaiger Erneuerung des feindlichen
Angriffs schon von vornherein sinken zu lassen. Allein die beträchtlichen Ausfälle
an Toten, Verwundeten und Vermißten und das Fehlen der nötigen Reserven an
Infanterie und Artillerie waren doch bedenklich. Was uns an Reserven zur
Verfügung gestanden hatte, mußte auf das Südufer der Somme hinüber geschickt
werden, wo nach dem völligen Zusammenbruch der deutschen Abwehr australische
Divisionen fast kampflos ihren Vormarsch nach Osten angetreten hatte. Daß die
Entente-Truppen, angefeuert durch ihren dortigen Erfolg, bald auch bei uns
nochmal ihr Glück versuchen würden, damit mußte mit Bestimmtheit gerechnet
werden.“
aus: „Das Infanterie-Regiment „Kaiser
Wilhelm, König von Preußen“ (2. Württemb.) Nr. 120 im Weltkrieg 1914–1918ׅ,
Stuttgart 1922
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