„Die
Nacht vom 22. bis 23. Oktober war klar und mondhell. Man sah fast bis an die
Häuser von Bazuel hinüber. Um 1 Uhr vormittags meldete Leutnant Sattler, der
mit 30 Mann der Sturmabteilung der Division einen Teil des Vorfeldes besetzt
hielt, daß sich englische Tanks vor der Front bereitstellen. Die feindliche
Infanterie benehme sich auf-fallend laut.
Ein
neuer Angriff stand also bevor.
Die
Besatzung des Vorfeldes eröffnete das Feuer. Einmal hier, einmal dort
auftauchend, schoß sie in die englische Bereitstellung hinein. Auch die
Minenwerfer des Regiments, die Leutnant d. R. Schmalzried leitete, schickten
ihre Minen zum Feind hinüber. Die eigene Artillerie schoß kräftiges
Vernichtungsfeuer. Um 2.30 Uhr vormittags begann der Engländer mit Trommelfeuer
– so stark und ausgiebig wie noch nie in den Vortagen. Ein Hagel von Geschossen
prasselte auf Ors und die deutschen Batterien nieder. Die Hauptwiderstandslinie
des Regiments hatte der Gegner anscheinend nicht entdeckt. Sie bekam daher
weniger Feuer, als das Gelände dicht dahinter, wo die Engländer wohl die
Stellung vermuteten. Unter die Granaten aller Kaliber, die unaufhörlich
einschlugen, mischten sich einzelne Lagen von Phosphor- und Nebelgranaten. Die
Fernsprechlei-tungen wurden durchgeschossen. Die Fernsprecher des
Nachrichtenzuges versuchten die Drähte zu flicken – es war eine aussichtslose
Arbeit. Die Meldehunde verweigerten in dem wilden Feuerkessel den Dienst.
Es
war 3 Uhr vormittags geworden. Das Feuer raste weiter.
Um
3.20 Uhr vormittags rasselten die englischen Tanks heran. Die leichten und
schwe-ren Maschinengewehre gingen ihnen, soweit sie in dem dichten künstlichen
Nebel erkennbar wurden, mit S. m. K.-Patronen zu Leibe. Der englischen
Infanterie, die hinter den Tanks folgte, schlug ungeschwächtes Feuer entgegen.
Sie warf sich in Deckung oder flutete zurück. Nach seitheriger englischer
Gewohnheit setzte nunmehr verstärktes Artilleriefeuer auf die jetzt erkannte
vordere Linie des Regiments ein. Diese wich nach vorne aus, nistete sich
unkenntlich im Gelände ein und begann sofort mit ihren Maschi-nengewehren zu
feuern, sobald sich ein Ziel vor ihr zeigte.
Links
vom Regiment, beim Infanterie-Regiment 478, erscholl zeitweise kräftiges
Infan-teriefeuer, ein Zeichen,. daß das brave Schwesterregiment noch im Besitz
seiner Stel-lung war. Rechts vom Füsilier-Regiment, über dem Bahndamm drüben, wo
vor dem englischen Angriff die Reste des Infanterie-Regiments 479 unter
Hauptmann Schaal gelegen hatten, war es dagegen still geworden. Patrouillen des
I. Bataillons, die Verbin-dung aufnehmen wollten, stießen auf Engländer. Bald
darauf meldete sich Hauptmann Schaal beim Regimentskommandeur in Ors. Er
berichtete, daß das englische Artillerie-feuer mit verheerender Wucht seine
Stellung getroffen habe, so daß es seinen Mann-schaften nicht mehr möglich war,
sich gegen die feindliche Übermacht zu halten. Eng-lische Infanterie befinde
sich bereits hinter seinem Gefechtsstand.
Ähnlich
hieß es, solle es beim linken Flügelregiment der 17. Reserve-Division sein, das
rechts von der Abteilung Schaal gelegen hatte. Auch hier sei die erkannte
vordere Linie schwer beschossen und zurückgedrängt worden.
Eine
Alarmnachricht jagte nunmehr die andere. Ein Pionier erzählte, die Engländer
seien in einen am Bahnhof Ors gelegenen Stollen eingedrungen. Er selbst sei mit
knap-per Not durch den zweiten Ausgang entkommen. Andere meldeten, auf dem
Bahnhof Ors stünden bereits feindliche Tanks. Um nicht von Norden her umfaßt zu
werden, setzte Oberst von Alberti das letzte, was er hatte, die Fernsprecher
und die Ordonnanzen des Regimentsstabes, an den Eingängen von Ors ein.
Hauptmann Schaal erhielt mit 6 Mann den Befehl, die Brücke, die die Rue du Oui
über den Sambre-Kanal führte, zu besetzen. Sie lag nach einer Meldung des
Hauptmann Schaal bereits unter englischem Maschinengwehrfeuer.
Nun
war alles verausgabt, bis auf den Stationstrupp des Regimentsstabes, der die –
nicht funktionierende – Leitung zur Brigade aufrecht erhalten sollte. Wo das
II./122 stand, war um diese Zeit nicht bekannt.
Das
englische Feuer dauerte mit unverminderter Heftigkeit an. Es war wie eine
Erlö-sung, als um 5.45 Uhr vormittags ein Meldegänger des Hauptmanns Aichholz
die Meldung überbrachte, daß die Front des Füsilier-Regiments noch an der alten
Stelle halte. Um auch rechts vom Regiment Klarheit zu schaffen, machten sich
zwei Offiziere des Stabes, Leutnant d. R. Stierle und Leutnant d. R. Köpf, auf
den Weg zum rechten Regimentsstab. Sie kehrten lange nicht zurück. Oberst von
Alberti war in schwerer Sorge, ob sie nicht dem feindlichen Feuer zum Opfer
gefallen seien. Endlich, nach bangem Warten, kehrten sie erhitzt, aber mit
zufriedenen Gesichtern zurück. Sie hatten zwar den Stab des rechten
Nebenregiments nicht gefunden, aber von einem Batail-lonsführer erfahren, eine
Kompanie des Infanterie-Regiments 162 stünde noch am Bahnhof Ors.
Seit
Beginn des englischen Trommelfeuers war die Verbindung mit der Brigade
unter-brochen. Oberst von Alberti entschloß sich daher, als ältester Offizier
die Führung der einzelnen kämpfenden, teilweise weit auseinanderliegenden
Bataillone in die Hand zu nehmen. Das I. und III./122 hatte seine Stellung
weiter zu halten. I. und II./478, II./122 und die Kompanie des
Infanterie-Regiments 162 am Bahnhof Ors bekamen ihre Ab-schnitte zur
Verteidigung zugewiesen. Ob dieser Befehl zu allen Stellen durchgedrungen ist,
ist nicht bekannt geworden. Das II./122 bekam ihn und hielt dementsprechend den
Bahnhof Ors besetzt.
Es
war inzwischen 8 Uhr vormittags geworden. Das feindliche Trommelfeuer begann
nachzulassen. Um 8.15 Uhr vormittags war es in Störungsfeuer übergegangen.
Von
Major Baumann, dem Führer des Infanterie-Regiments 478, erfuhr Oberst von
Alberti, daß die Brigade auf Grund der Lage nördlich und südlich von Ors den
Befehl gegeben habe, hinter den Sambre-Kanal zurückzugehen. Um 2 Uhr
nachmittags begann Hauptmann Aichholz, seine Truppen (I. und III.), die in der
Flanke schwer bedroht waren, langsam abbauen zu lassen. Fechtend zogen sie sich
auf das noch am Bahnhof Ors bereitliegende II. Bataillon, von hier über den
Kanal zurück und besetzten den Kanaldamm. Nachdem sich Oberst von Alberti an
Ort und Stelle überzeugt hatte, daß die Besetzung durchgeführt war, gab er kurz
vor 3 Uhr nachmittags auch dem II. Ba-taillon am Bahnhof Ors den Befehl,
zurückzugehen. Die Masse der englischen Infan-terie folgte dem Bataillon nicht.
Leutnant d. R. Schoder führte seine Kompanien am hellen Tage, angesichts der
zaghaft vorfühlenden englischen Patrouillen, über die Brük-ke bei Rue du Oui
hinter den Kanal zurück. Als der letzte Mann die Brücke über-schritten hatte,
sprengte sie ein voreiliger Pionier vorzeitig in die Luft.
Das
II. Bataillon besetzte den ihm zugewiesenen Teil der Kanalböschung links neben
dem I. Bataillon. Das schwache III. Bataillon wurde herausgezogen und als
Reserve hinter den rechten Flügel gelegt. Die II. Abteilung des
Feldartillerie-Regiments 238, die seit März 1917 in guten und in bösen Tagen
treu zum Regiment gehalten hat – ihr Führer Hauptmann Mauthe stand nach einem
scherzhaften Ausspruch des Obersten von Alberti â la suite des
Füsilier-Regiments 122 – baute ihre Geschütze hinter dem Regi-ment auf. Als
vollends die Maschinengewehre und Minenwerfer ihre Aufstellung einge-nommen
hatten, stand das Regiment wieder kampfbereit dem Feind gegenüber.“
aus: „Das Füsilier-Regiment Kaiser Franz
Joseph von Österreich, König von Ungarn (4. württ.) Nr. 122 im Weltkrieg
1914–1918“, Stuttgart 1921
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