Wilhelm Reutter, lediger Schuhmacher aus Altbulach, hatte in den Jahren 1904 bis 1906 seinen Wehrdienst beim Infanterie-Regiment 126 in Straßburg abgeleistet. Er wurde am 4. August 1914 zum Reserve-Infanterie-Regiment 119 eingezogen und marschierte mit diesem in die Vogesen. Am 29. August 1914 befand sich das Regiment bei Saint Dié und hatte den Befehl, den Roche Saint Martin zu nehmen. Oberstleutnant von Hoff, Führer des I. Bataillons, zu dem auch Wilhelm Reutter mit der 1. Kompagnie gehörte, schildert die Einnahme des Roche Saint Martin 1916 in der „Schwäbischen Scholle“:
„Schützenschleier vorn und zur Seite herausgeschoben windet sich die Kolonne den Steilhang hinauf; noch ist er nicht bis zur halben Höhe erstiegen, als die ersten Schüsse in der linken Flanke fallen. Rasch folgen Meldungen, daß der Felsensattel besetzt ist. So schwenken wir nach links ein, haben damit die Kompagnien kampfbereit nebeneinander, Schützenketten klettern von Baum zu Baum voran, nahe dahinter folgen die Kompagnien ebenso mühsam über den dicht mit Unterholz bewachsenen felsigen Steilhang. Man sieht nur einige fünfzig Meter weit und keinen Feind. Trotzdem prasselt mit einem Schlag Gewehrfeuer, den ganzen Hang bestreuend, von hoch oben auf uns herab. Meist geht es zu hoch, nur ganz wenige Verwundungen treten ein. Keuchend unter dem schweren Gepäck in der Gluthitze des Augusttages klettern wir aufwärts. Jetzt wird da und dort ein Gegner im Busch, auf dem Baum, hinter den Felsen entdeckt. Bald da, bald dort duckt sich eine unserer Gruppen und beginnt das Feuer. Am bergehängend sind wir in schwieriger Lage, die Stärke des Feindes nicht klar, ein Rückwärts gibt es für uns nicht, also vorwärts, um so rasch als möglich den Sattel zweihundert Meter hoch über uns zu gewinnen! Mir fällt die Aussage der Gefangenen ein, daß der deutsche Hurraruf und das Schlagen und Blasen beim Sturm nicht zu ertragen sei. Einige Spielleute schicke ich weitab vom rechten Flügel des Bataillons durchs Gebüsch, sie sollen über die Breite unserer Angriffsfront täuschen. Und nun los. Auf der ganzen Linie Signal „rasch vorwärts!“ Schlagen aller Trommler, Hurraruf, Krachen de gegenseitigen Feuers i echoreichen Walde – so klettern wir unter Höllenlärm immer höher, schießend, brüllend, und mit vollem Fanfaro. Meine Schwarzwälder verleugnen ihre Herkunft nicht, sie klettern meisterhaft und ziehen sich gegenseitig hoch, dann hinter dem nächsten Felsblock ein paar sichere Schüsse, so wird der Sattelrand gewonnen Mit dem letzten Atem und brausenden Ruf stürzt alles vor, in wirrer Flucht nimmt der Feind Reißaus und zerstreut sich in Busch und Fels. Mehr als hundert Tote und Verwundete läßt er zurück, zahlreiche Gefangene fallen uns in die Hände, aber auch in unsern Reihen sinkt so mancher todeswund nieder. Auf der Sattelhöhe wirft sich alles erschöpft in das Moos, es wird still ringsum. Doch der Felsen zur Linken ist immer noch besetzt. Vor Dunkelheit muß er geräumt sein. Leise Befehle und Winke, dann noch einmal: „Auf, Marsch, Marsch! Hurra!“ – wie ein kurzes Hagelwetter kracht feindliches Feuer vom Felsenriff; vor der stürmenden Linie stürzt im Todessprung so mancher der Führer und hinter ihm trifft so mancher Schuß noch die todesmutig folgenden Stürmer. Dach der unüberwindlich scheinende Berg ist unser, die Reste des Alpenjägerbataillons weichen. Der Bataillonsadjutant und zwei Kompagnieführer der französischen Jäger liegen langgestreckt inmitten der gefallenen Feinde. Sie hatten sich bis zum letzten Augenblick verteidigt und ihr Leben geopfert, um den Ihrigen dem Alpenjägerbataillon 62, den Rückzug zu decken.“
Wilhelm Reutter wurde beim Aufstieg verwundet zurückgelassen, um vom nachfolgenden Sanitäts-personal versorgt zu werden. Sein weiteres Schicksal blieb ungeklärt.
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